Innovationsnetzwerke – Soziale Netzwerke und die Generierung von Innovationen

*Eine ausführliche Version des Textes und die vollständigen Literaturangaben zu den aufgeführten Referenzen finden sich im hier vorgestellten Buch.

Innovation und Netzwerke

Schlüsselergebnisse empirischer Forschung der 1960er Jahre haben den Fokus auf die Rolle externer Quellen für die Generierung von Innovationen und damit auf die Bedeutung von (Organisations-) Grenzen überschreitenden Netzwerken. Wie Freeman (1991: 499) betont, wurde in dieser Zeit erstmals die notwendige Bedeutung externer Informationsnetzwerke und Zusammenarbeit mit Endanwendern für die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse gezeigt. Denn bis dahin waren die meisten Innovationsstudien lediglich anekdotischer und biografischer oder rein technischer Natur. Selbst Ökonomen wie Schumpeter haben nicht die spezifischen Merkmale tatsächlicher Innovationen in der Tiefe studiert.

Das SAPPHO-Projekt (vgl. Rothwell 1974; Rothwell et al. 1974) war eine der umfassendesten empirischen Studien während der späten 1960er Jahre, die repräsentativ für die Innovationsforschung dieser Zeit ist, auch wenn sie sich lediglich auf zwei Produktionsbranchen konzentriert hat (Chemie und Messinstrumente). Die wichtigsten Merkmale für Erfolg oder Misserfolg von Innovationen, die in dieser Studie identifziert wurden, sind (siehe Freeman 1991: 500):

  • Nutzerbedürfnisse und Anwendernetzwerke,
  • Verbindung der Entwicklungs-, Produktions- und Marketingaktivitäten,
  • Verbindung mit externen Quellen wissenschaftlicher und technischer Information und Beratung,
  • Konzentration auf qualitativ hochwertige R&E-Ressourcen für das Innovationsprojekt,
  • gehobener Status, breite Erfahrung und Seniorität des Innovationsmanagers,
  • Grundlagenforschung.

Diese Merkmale zeigen die hohe Bedeutung von Netzwerken und externen Ressourcen als kritische Erfolgsfaktoren für Innovationen. Darüber hinaus betonen die SAPHO-Projektergebnisse bereits die Bedeutung von formalen und informalen Netzwerken. Während der 1950er Jahre haben Carter und Williams (1957, 1959) die grundlegende Bedeutung multipler Links für das von ihnen sogenannte “progressive” Unternehmen gezeigt. Piore und Sabel (1984) führen viele Beispiele an, die die Rolle und Bedeutung von externen Verbindunden zeigen, die durch regionale Netzwerke entstehen. Regionale Netzwerke sind historisch schon seit den frühen Tagen der Industrialisierung wichtig. Wie Freeman (1991: 510) resümmiert, sind Netzwerke ein altes Phänomen und Zuliefernetzwerke sind selbst so als wie die industrialisierte Wirtschaft. Dennoch kann ein verstärktes Aufkommen von Untersuchungen und Literatur zur formalen und informalen Netzwerken in den 1980er Jahren festgestellt werden, die sowohl eine neue Quantität wie eine neue Qualität aufweisen: “In quantitative terms there is abundant evidence of a strong upsurge of various forms of research collaboration especially in the new generic technologies [. . . ], involving extensive international collaboration as well as national and regional networks. There is also ample evidence of a qualitative change in the nature of the older networking relationships which have existed for a long time” (Freeman 1991: 507). Letzteres beinhaltet Netzwerke mit Subunternehmern, Forschungsverbünde, staatliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte und -programme, Datenbanken sowie verschiedene Netzwerke mit Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Einen neuen Auftrieb bekommen alle möglichen Formen von Netzwerken mit der Verbreitung der neuen IP-basierten Informations- und Kommunikationstechnologien seit Ende der 1980er Jahre bis heute. Sie bereiten eine wichtige Basis für den Wandel zur Informations- oder Wissensgesellschaft. Die verschiedenen neuen Informationstechnologien beeinflussen durch ihre Konvergenz mit Telekommunikationstechnologien das Kommunikationsnetzwerk innerhalb und zwischen Organisationen und beinhalten das Unternehmen mit seinen Zuliefernetzwerken, technologischen Netzwerken, Kundennetzwerken etc. Nicht die IT-Industrie selbst ist durch intensives technologisches Networking zur Entwicklung ihrer eigenen Produkte charakterisiert, sondern ihre Diffusion innerhalb der ganzen Wirtschaft in neue Anwendungsbereiche hängt von der Entwicklung neuer Netzwerke ab. Sie stellt die technischen Mittel zur Verbesserung der Kommunikationsnetzwerke überall bereit und macht sie zugänglich in Feldern, in denen sie vorher kaum hätte genutzt werden können. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind eine “networking technology par excellence” (Freeman 1991: 509).

Soziale Netzwerke in F&E-Umgebungen

Nach Jain und Triandis (1990: 21-43) ist F&E-Management stets durch seine Unternehmens-, Technologie- und Innovationsstrategie geleitet, die durch vielfältige unterstützende Mechanismen realisiert werden, wie Mitarbeiter, Ideen, Kommunikationsnetzwerke, Budgets und kulturelle Elemente. Wir wollen hier unseren Fokus auf Wissenskommunikation in F&E-Umgebungen durch soziale Netzwerke in einem engeren Sinne legen.

Auf Basis der Unterscheidung der verschiedenen Phasen von Forschung und Entwicklung, beschreibt Tushman (1982: 351-352) die Hauptmerkmale von Forschungs-, Entwicklungs- und technischen Projekten mit ihren dazugehörigen Kommunikationsnetzwerken (wie zitiert in Jain and Triandis 1990: 29-30) “[D]ifferent R&D activities require different communication networks” (Jain and Triandis 1990: 31). Wie ihre Erfahrung zeigt, gibt es eine Evolution der Sprache, Konzepte und Werte, die spezifisch für die unterschiedlichen Projekttypen sowie für die Organisation zu einem bestimmten Zeitpunkt insgesamt sind. Und während dieses gemeinsame Verständnis die Kommunikation innerhalb eines Projektteams (oder innerhalb eines dichten Netzwerkes) erleichtet, führen diese spezifischen Gemeinsamkeiten dazu, dass die Kommunikation mit der Außenwelt – also über das Team oder die Organisation hinaus – umso schwieriger und anfällig für Mißverständnisse wird (Jain and Triandis 1990: 30; mit Bezug auf Tushman 1982: 357).

Anhand der Beziehungsarten der Zusammenarbeit können F&E-Netzwerke auf der individuellen, organisationalen oder institutionalen Ebene und den dazugehörigen Wissensmanagement-Prozessen wie folgt unterschieden werden (vgl. auch Liyanage et al. 1999: 387-388):

Network Levels
R&D Process
R&D Objective
Collaborations
Integration
Resource complementary, reduce risks, pool resources
Institutional / Organizational
Linkages
Value creation, long range planning
Individual
Creations
Knowledge creation, creativity and inquiry

Nach Collinson und Gregson entwickeln sich anfängliche Kontakte durch soziale Netzwerke mit der Zeit zu Geschäftsbeziehungen und dann zu strategischen Netzwerken, die Unternehmen Innovationen ermöglichen und diesen durch ihre Verbindung mit anderen Organisationen zum Erfolg verhelfen (Collinson and Gregson 2003: 192; mit Verweis auf Aldrich and Zimmer 1986; Butler and Hansen 1991; Dubini and Aldrich 1991; Falemo 1989; Flynn 1993; Johannisson 2000).

Wissensmanagement und Innovationsnetzwerke

In den letzten beiden Jahrzehnten wurde das lineare Modell des Innovationsprozesses zunehmend zugunsten eines rekursiven Modells aufgegeben (vgl. Kline and Rosenberg 1986). Diese neuen Modelle gehen nicht mehr von aufeinander folgenden Phasen des Innovationsprozesses aus (Schmoch et al. 2000: 5-7), sondern von rekursiv verbundenen Phasen die mehrfach durchlaufen werden (“multiple cycling”). Diese Veränderung des Blickwinkels auf den technologischen Entwicklungsprozess wird durch Ansätze aus der Netzwerkperspektive noch stärker erweitert (Reinhard 2001: 15). Eine Netzwerkperspektive auf den Technologieentwicklungsprozess basiert in erster Linie auf der Coase Williamson-Theorie der Märkte und Hierarchien. Danach unterscheiden sich Netzwerke von anderen Typen organisationaler Interaktionen dadurch, dass die Koordination weder durch Marktmechanismen noch durch Hierarchie erreichen. Vielmehr erreichen soziale Netzwerke Koordination auf der normativen Basis der von den Partnern gegenseitig objektiv und subjektiv gefühlten Vorteile (vgl. Hakansson 1989: 15-26; Freeman 1991: 506-510). Dadurch stellen sie einen grundsätzlich anderen Typ eines Koordinationsmechanismus’ dar, der insbesondere für die effiziente Organisation von Innovationsaktivitäten nützlich ist (Reinhard 2001: 15). Diese Netzwerkperspektive von Wissenstransfer als Koordinationsmechanismus, der sich von marktlicher und hierarchische Koordination strukturell unterscheidet, begründet das fundamentale Mißverständnis, das der Konzeption von Wissensteilung als sogenanntem Wissensmarkt zugrundeliegt.

Wenn wir Wissenskommunikation im Innovationsmanagement betrachten, dann können wir uns auf die Erkenntnisse des Wissensmanagement-Modells zu Wissensflüssen (knowledge flows) im F&E-Prozess stützen, wie es Armbrecht et al. (2001) ausgearbeitet haben. Sie teilen die Auffassung, dass Menschen die zentrale Position in Prozessen der Wissensgenerierung und des Wissenstransfers einnehmen. Sie berücksichtigen in ihrem Wissensfluss-Konzept die Komplexität von Interaktion und schlagen das Modell eines stark interpersonalen und iterativen Prozesses zur Filterung, Fokussierung und Erweiterung vor, in dem der kreative Vorgang stattfindet (Armbrecht et al. 2001: 32). Anhand von Interviews mit F&E-Manager studieren sie diejenigen Aspekte des Wissensmanagements, die einzigartig oder besonders wichtig für den F&E-Prozess sind, und gelangen so zu einem Katalog von Best Practices. In ihren Interviews haben folgende Punkte die höchste Priorität zum Wissensmanagement (Armbrecht et al. 2001: 33):

  • “Welche Art der Kultur unterstützt den Wissensfluss und wie kann sie am besten gestaltet, umgesetzt und gemanaged werden?”
  • “Wie kann das Wissen von Experten und von Personen, die die Organisation verlassen, erhalten werden?”
  • “Wie kann der F&E-Prozess beschleunigt werden?”
  • “Wie kann die in der F&E-Organisation verborgene Kreativität weiter entwickelt und genutzt werden?”

Die soziale Netzwerkanalyse bietet nicht nur einen konzeptuellen Rahmen zur Untersuchung von Innovationsnetzwerken, sondern auch ein geeignetes analytisches Werkzeug zur empirischen Untersuchung und praktischen Unterstützung von Netzwerken innerhalb und zwischen Organisationen.

*Eine ausführliche Version des Textes und die vollständigen Literaturangaben zu den aufgeführten Referenzen finden sich im hier vorgestellten Buch.