Wissensnetzwerke und Wissensgemeinschaften in Organisationen

*Eine ausführliche Version des Textes und die vollständigen Literaturangaben zu den aufgeführten Referenzen finden sich im hier vorgestellten Buch.

Organisationskommunikation

In seiner grundlegenden Arbeit definiert Gerhard Maletzke (1963: 18) Kommunikation als die Vermittlung von Wissen zwischen Lebewesen. Die Komplexität und Omnipräsenz von Kommunikation wird deutlich in dem berühmten ersten Axiom von Watzlawick et al. (1969 (1967): 53): man kann nicht nicht kommunizieren. Dieses Postulat ist etablierter Bestandteil von Studien zu interpersonaler Kommunikation geworden und erfreut sich ebenso weit verbreiteter Akzeptanz wie vielfacher Misverständnisse in Kreisen von Kommunikationswissenschaftlern. Basierend auf der Arbeit von Fisher (1978) adaptieren Krone et al. (1987) vier konzeptuelle Ansätze menschlicher Kommunikation unter (1) mechanistischer, (2) psychologischer, (3) interpretativ-symbolischer und (4) System-interaktions-Perspektive als Rahmen einer Studie organisationaler Kommunikation. Als Adaption aus der Untersuchung menschlicher Kommunikation bieten diese Perspektiven einen geeigneten threoretischen Rahmen gerade für die Analyse von Organisationskommunikation mit dem Fokus auf interpersonale Beziehungen.

Die mechanistische Auffassung betrachtet Kommunikation als einen Transmissionsprozess, in dem eine Botschaft in einem Raum (Kanal) [und Zeit!] von einem Punkt zu einem anderen gelangt. Mit Blick auf Kommunikation in Organisationen nimmt insbesonderen die Forschung zu organisationalen Kommunikationsnetzwerken meist diese mechanistische Perspektive ein: sie richtet ihren Fokus auf die Kommunikationsflüsse zwischen Individuen und/oder Organisation(seinheiten) (vgl. z.B. Monge and Eisenberg 1987).

Wissenskommunikation in Netzwerken

Aus einer Netzwerkperspektive kann Kommunikation in Organisationen anhand drei Dimensionen unterschieden werden (nach Schenk 1984: 244): (1) Struktur, (2) Funktion und (3) System. Struktur fokussiert die wiederholten, relativ stabilen Sets kommunikativer Beziehungen, die zwischen den Organisationsmitglieder existieren. Funktion ist die Konsequenz von Kommunikation, die als Produktion und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungenen sowie Innovation (Adaptation) beschrieben werden kann (mit Bezug auf Barnard 1951 (1938)). Die Systemebene ist die Aggregation von Individuen, die die grundlegende Analyseeinheit für dyadische Beziehungen der Gesamtorganisation darstellen.
Funktionen von Wissenskommunikation in Organisationen sind Lernen, Innovation und Entscheidungsfindung in Bezug auf die Entwicklung und das Management von Prozessen sowie auf die strategische Orientierung auf individueller und organisationaler Ebene (zu Prozessen von Information, Wissen und Decision-making siehe auch Sorg 1982). Choo (1996) identifiziert drei Bereiche, innerhalb derer eine Organisation Information strategisch nutzt:

  1. Nutzung der Veränderungen im Umfeld und in der Umwelt,
  2. Schaffung neuen Wissens für Innovationen und
  3. Entscheidungsfindung für Handlungen.

Weick (1979) und seine Konzeption ist nützlich für die Perspektive der sozial konstruierten Wissensgenerierung in Organisationen. Er schlägt ein Modell von Organisationen als lose gekoppelte Systeme vor, in denen individuelle Teilnehmer einen großen Spielraum der Interpretation und der Richtungsvorgabe haben (Choo 1996: 333; mit Bezug auf Weick 1979). Da nach unserer Auffassung Wissen in den Köpfen von Menschen ist, muss dieses persönliche Wissen in eine Art von Wissen umgewandelt werden, die (mit-) geteilt und in Innovationen transformiert werden kann. Im Zuge der Wissensgenerierung ist der wesentliche Informationsprozess die Wissensumwandlung (Choo 1996: 338). Und diese Umwandlungsprozesse müssen für jede einzelne Situation erneut erfolgen. Deshalb sind Prozesse der Wissensgenerierung stark mit Prozessen des Wissenstransfers und der Wissenstransformation verbunden. Es wäre gewiss zielführend, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen persönlichem, organisationalem und Netzwerk-Wissen sowie die damit verbundenen Prozesse des Wissenstransfers in zukünftigen Studien eingehender zu erforschen.

Formale und informale Organisation

Informale soziale Beziehungen in Organisationen sind Forschungsgegenstand schon mindestes seit den klassischen Hawthorne-Studien in den 1930er Jahren (Roethlisberger and Dickson, 1947). Die Studien der späten 1950er Jahre betrachteten eine große Diskrepanz zwischen formaler und informaler Organisationsstruktur als negativen Einfluss auf die Kohäsion einer Arbeitsstätte sowie auf die Performance einer Organisation (vgl. z.B. Coleman 1956; Dalton 1950).

Ungeachtet der Richtung des Einflusses von informellem Netzwerk auf die formale Organisation gibt es einen allgemeinen Konsens, dass die Prozesse innerhalb der formalen Organisation unmöglich zu verstehen sind, ohne den Einfluss der bestehenden informellen Beziehungen zu berücksichtigen. Barnard (1951 (1938): 120) schrieb bereits in den 1930er Jahren: “Formal organizations arise out of and are necessary to informal organization; but when formal organizations come into operation, they create and require informal organizations”. Blau und Scott (1962: 6) stellten in den 1960er Jahren fest: “In every formal organization there arise informal organizations”. Und weiter: “The constituent groups of the organization, like all groups, develop their own practices, values, norms, and social relations as their members live and work together. The roots of these informal systems are embedded in the formal organization itself and nurtured by the very formality of its arrangements.”

Das führt zu der Schlussfolgerung, dass es nicht nur unmöglich ist, die Prozesse innerhalb der formalen Organisation ohne Berücksichtigung der bestehenden informellen Beziehungen zu verstehen, sondern dass umgekehrt auch die Analyse der informalen Strukturen die Berücksichtigung der formalen Organisationsstruktur verlangt. Gerade diese Voraussetzungen berücksichtigt die soziale Netzwerkanalyse, weshalb sie sich so gut als Methode zur Unterstützung organisationaler Wissenskommunikation eignet.

Communities of Practice und Soziale Netzwerke

Der Fokus von Forschung und Praxis auf die interpersonalen Beziehungen und informalen Strukturen in Organisationen hat zu einer Reihe verschiedener Konzepte intra- und interorganisationaler Wissenskommunikation in Gemeinschaften (communities) und sozialen Netzwerken geführt. Die soziale Perspektive hat sich als das vorherrschende Paradigma in Studien zum Informations- und Wissensmanagement der letzten Jahre durchgesetzt. Solche eine sozial-konstruktivistische Herangehensweise zum Wissenstransfer richtet den Blick nicht nur auf einelne Individuen und dyadische interpersonale Beziehungen, sondern auch auch soziale Aggregate und ihre strukturellen Muster. Eine wachsende Menge an Literatur untersucht und beschreibt Gemeinschafts- und Netzwerkkonzepte aus der Wissensmanagement-Perspektive (siehe z.B. Botkin 1999; Erickson and Kellogg 1999; Erickson and Kellogg 2001; Lesser et al. 2000; Schmidt 2000; Brown and Duguid 1991; Lesser 2001; Wenger 1999; Collinson and Gregson 2003; Liyanage et al. 1999; Powell 1998; Seufert et al. 1999a; Seufert et al. 1999b).

In den Debatten zum Wissensmanagement hat inspesondere das Konzept der Communities of Practice (CoP) Prominenz erlangt. Vor dem Hintergrund einer anthropologisch orientierten Pädagogik haben Lave und Wenger (1991) ihr Konzept der Community of Practice eingeführt. Zentral ist dabei die Rolle der “legitimen peripheren Partizipation” (legitimate peripheral participation), die beschreibt, wie Wissen und Fähigkeiten in Gruppen durch Anleitung, implizites Lernen und wachsende Beteiligung innerhalb der Gemeinschaft weitergegeben werden. Die Bedeutung von Communities of Practice für Prozesse der Wissensteilung und des Lernens in Organisationsumgebungen basiert auf ihrer Fähigkeit, Wissen und Lernen ganzheitlich in die vorhandenen sozialen Praktiken zu integrieren, ohne dieseals einzeln isolierte Prozesse zu betrachten, die mit dem Alltagsleben nichts zu tun haben (Lave and Wenger 1991: 47-48). In diesem Konzept wird Wissen nicht bei einzelnen Personen lokalisiert, sondern durch Formen sozial konstruierter Bedeutung innerhalb der Gruppe (Lave and Wenger 1991: 50). Lave und Wengers Konzept der Communities of Practice wurde schnell von den ursprünglichen Lerntheorien auf die Bereiche Wissensmanagement, Personalentwicklung (HR development) und Management-Theorien übertragen. Insbesondere in F&E-Umgebungen ist es von großer Bedeutung, Wissensgemeinschaften und Innovationsnetzwerke effektiv zu unterstützung und systematisch zu managen.

*Eine ausführliche Version des Textes und die vollständigen Literaturangaben zu den aufgeführten Referenzen finden sich im hier vorgestellten Buch.

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